Vor drei Jahrzehnten ermordeten Rechtsextremisten in Solingen fünf Menschen. Die Zeitzeugin Birgül Demirtaş erinnert sich an die Zeit des Anschlags und seine Folgen.
Am 29. Mai jährt sich zum 30. Mal der rassistische Brandanschlag von Solingen, bei dem fünf Menschen ermordet und weitere schwer verletzt wurden. Rechtsextreme Jugendliche waren nachts in das Wohnhaus der türkischstämmigen Familie Genç in der Unteren Wenerstraße eingedrungen, verschütteten Benzin im Flur und legten Feuer. Die Tat folgte auf die rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sowie den Mordanschlag in Mölln.
Wir hörten an dem Samstagmorgen davon, und zwar von meiner Großmutter aus der Türkei, die es dort in den Medien mitbekam und uns anrief. Meine Geschwister und ich haben nach dieser Nachricht Rausgeh-Verbot von unseren Eltern bekommen. Weil sie Angst um uns hatten, uns könne was passieren.
Wir wohnten damals im zweiten Stock, mein Vater hat mit uns genau geübt, wie man so eine Strickleiter benutzt. Andere Familien parkten ihr Auto möglichst nah am Gebäude und packten Matratzen auf das Dach des Wagens. Für den Fall, dass sie springen müssen. Außerdem wurden Klingelschilder entfernt, wenn der Name zu türkisch klang.
Aber der Terminus Rassismus, der war mir tatsächlich neu. Meine Eltern erklärten mir damals, die fünf Menschen seien ermordet worden, weil Deutschland ein rassistisches Land sei. Den Satz „Almanlar Türkleri sevmiyorlar“ habe damals öfters von ihnen gehört. Das heißt: „Deutsche mögen keine Türken.“ Aber eigentlich machten sie auf eins aufmerksam: Rassistische Gewalt ist ein Fortwirken der NS-Zeit.
Als ich nach dem Anschlag, Jahre später, erfahren habe, dass das die Kampfsportschule gewesen ist, in der drei der Täter trainiert haben und dass dort bekannte Rechtsextremist:innen sich regelmäßig getroffen haben, hatte ich extreme Schuldgefühle gegenüber den verstorbenen Menschen, und auch gegenüber den Überlebenden der Familie Genç. Anfangs konnte ich mit keinem darüber reden, so geschämt habe ich mich.
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